Dieses Halbmodell ist ein besonderes Modell. Denn es gehört zu den wenigen Halbmodellen der Junge-Werft, die farbig gefasst sind und sich auf einem Grundbrett mit dekorativen Einkerbungen befinden. Verbauten die Junges bei den meisten Halbmodellen helle und dunkle Hölzer, um die Konturen des Rumpfes hervorzuheben, übernehmen hier grüne Wasserkeile an Bug und Heck diese Funktion. Das Modell zeigt ein neuartiges Fischereifahrzeug, das auf der Junge-Werft eigens für die Fischer auf der Elbe entworfen worden war.
Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich die Voraussetzungen für die Fischerei auf der Elbe merklich verändert. Die hohe Nachfrage nach Fisch führte zu einer Abnahme der Bestände. Um Heringe oder Störe zu fangen, mussten die Fischer vermehrt zur Elbmündung und in die angrenzenden Wattgebiete der Nordseeküste fahren. Für dieses Einsatzgebiet benötigten sie seetüchtigere Fahrzeuge. Gustav Junge baute 1891 erstmals den sog. Elbkutter, der auf die neuen Bedürfnisse der Elbfischer zugeschnitten war. Der Elbkutter war robuster konstruiert als seine Vorgänger und hatte für die Fischerei im Watt wenig Tiefgang erhalten. Für die Fahrt auf offener See konnten die Fischer ein eisernes Mittelschwert nutzen, für das Watt eigneten sich die Seitenschwerter. Mittel- oder Seitenschwerter waren bei wenig Tiefgang wichtig, um beim Segeln die Abdrift des Schiffes zu verhindern. Neu war auch die Konstruktion der Bütt, die u.a. eine bessere Wasserzirkulation für den Transport lebender Fische aufwies. Zudem waren die Elbkutter mit einer Winde für die bessere Handhabung des Fanggeschirrs ausgerüstet.
Seine ersten beiden Elbkutter lieferte Gustav Junge 1891 an den Fischer Johann Wedel sen. aus Neuhof bei Altenwerder auf Hamburger Gebiet und an den Fischer Nicolaus Wehrenberg aus Krusenbusch am Hamburger Köhlbrand. Der ursprüngliche Name von Wedels Kutter ist nicht überliefert, der Kutter von Fischer Wehrenberg erhielt vermutlich den Namen MARIA. Dieser Name war bei Elbfischern äußerst beliebt und trat auch in Verbindung mit Doppelnamen wie zum Beispiel ANNA-MARIA häufig auf. Einen weiteren Elbkutter namens MARIA baute Junge 1893 für den Fischer August König, der ebenfalls aus Neuhof stammte. In späteren Jahren mit Motoren ausgestattet, bewährten sich alle drei Kutter bis in die 1960er Jahre. Die Kutter von Wedel und König blieben lange in der Familie und wurden noch von den jeweiligen Enkeln genutzt. Mit den Elbkuttern hatte Junge ein neues Fischereifahrzeug konstruiert, das seinerzeit bei den Elbfischern großen Anklang fand und bald auch von anderen Werften gebaut wurde.
Literatur:
Herbert Karting: Schiffe aus Wewelsfleth Bd. III: Die Fischerei- und Sonderfahrzeuge der Junge-Werft, Itzehoe 1985, S. 104-108.
Karl-Heinz Haupt und Reinhard Sachs: Die Welt der Schiffsmodelle. Die Klassifizierung der Schiffsmodelle im Deutschen Schiffahrtsmuseum, hg. von Dirk J. Peters, Bremerhaven u.a. 2012, S. 136.
Günter Benja: Ewer und Kutter unter H.F. Die Finkenwerder Fischereiflotte, in: Schiff & Zeit 70 (2009), S. 37-42.
Die hier verfügbaren 3D-Modelle stehen unter der CC BY-NC-SA-Lizenz